Offener Brief des Juso-Landesvorstands an den SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck

Veröffentlicht am 11.10.2007 in Bundespolitik
 

Stellungnahme zur aktuellen Debatte um ALG I

Der Juso-Landesvorstand zeugt sich irritiert und verwundert über den vom SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck in den vergangenen Tagen eingeleiteten Kurswechsel insbesondere bei der Debatte über die Zahlungsdauer des Arbeitslosengeldes I (ALG I). Im folgenden ist der komplette Inhalt des Offenen Briefes nachzulesen:

Lieber Kurt,

im Jahr 1998 haben Sozialdemokraten in diesem Land Regierungsverantwortung übernommen und unter der Führung von Gerhard Schröder Stück für Stück den Reformstau aus 16 Jahren CDU-Herrschaft aufgelöst.

Damals lag die Beschäftigungsquote älterer ArbeitnehmerInnen bei 38 Prozent. Es waren unsere mutigen Reformen der Agenda 2010, die mit der unwürdigen Praxis der systematischen Frühverrentung älterer ArbeitnehmerInnen auf Kosten der BeitragszahlerInnen Schluss gemacht haben. Folge dieser Reformen ist nicht nur, dass heute inzwischen 48 Prozent der älteren ArbeitnehmerInnen in Lohn und Brot stehen. In den Unternehmen hat ein großes Umdenken eingesetzt. Arbeitgeber und Gewerkschaften entwickeln gemeinsame Konzepte für altersgerechtes Arbeiten und lebenslanges Lernen in den Betrieben. Diese Konzepte sind die angemessene Antwort auf den demographischen Wandel und die Rente mit 67. Angesichts des heraufziehenden Fachkräftemangels braucht unser Land die Erfahrung, das Wissen und Know-How älterer ArbeitnehmerInnen mehr denn je. Wir brauchen diesen Mentalitätswandel, um dem Jugendwahn in deutschen Unternehmen endlich ein Ende zu setzen.

Umso mehr mussten wir den von Dir eingeleiteten Kurswechsel bei der Zahlungsdauer des Arbeitslosengeld I (ALG I) irritiert und verwundert zur Kenntnis nehmen. Anstatt über eine Erhöhung der Regelsätze beim ALG II und damit über konkrete Hilfe für die Schwächsten unserer Gesellschaft nachzudenken, schlägst Du die Verlängerung der Zahlungsdauer des ALG I vor und bedienst damit die Abstiegsängste einer älteren Mittelschicht, in dem Sicherheit durch Alimentierung suggeriert wird.

Dieses Verhalten wirft einige Fragen auf.
Wie haben sich die Rahmenbedingungen seit dem Beschluss der Arbeitsmarktreformen im Jahr 2003 und Deiner öffentlichen Aufforderung an selbigen festzuhalten im Jahr 2006 geändert? Die steigende Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen, der Rückgang der strukturellen Arbeitslosigkeit und die daraus steigenden Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit sind für den Juso-Landesvorstand Baden-Württemberg Gründe, um an der bisherigen Regelung beim ALG I festzuhalten.

Durch Deinen Vorschlag der Koppelung des ALG I an das Lebensalter werden ältere gegen jüngere ArbeitnehmerInnen, die in die Arbeitslosigkeit geraten, ausgespielt. Warum ist die Lebenssituation eines 55 Jahre alten Arbeitnehmers, dessen Kinder aus dem bereits abbezahlten Haus ausgezogen sind, schwieriger als die eines 30 Jahre alten Familienvaters?

Um die Lebensleistung älterer ArbeitnehmerInnen ehrlich zu würdigen und deren Ängste zu begegnen, unterbreiten wir Dir folgende Vorschläge:
- Schaffung von Arbeit und Teilhabe durch weitere Verbesserung der Chancen älterer ArbeitnehmerInnen am Arbeitsmarkt
- Verwendung der Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit für die Förderung von lebenslangem Lernen, Qualifizierung und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
- Investitionen in die Verbesserung der Vermittlungstätigkeiten der BA, insbesondere durch Verlagerung auf die kommunale Ebene
- Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze durch Prämien/Bestrafungsmechanismen für einstellende/entlassende Betriebe
- Erhöhung des Schonvermögens beim ALG II für ältere ArbeitnehmerInnen

Vor einem Jahr hast Du die Vorschläge des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) bezüglich einer längeren Zahlungsdauer des ALG I in der Öffentlichkeit vehement bekämpft und als unsozial bezeichnet. Recht hast Du, wenn Du der Ansicht bist, dass die Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder nicht in Stein gemeißelt sind. Die Antwort auf diese Situation muss aber lauten: eine ehrliche Weiterentwicklung, die mehr Menschen in Deutschland in Arbeit bringt. Es gibt hinreichend Handlungsbedarf, den wir angehen müssen. Ein Zurückweichen vor Union und Linkspartei ist hierbei weder klug noch aufrichtig gegenüber den Menschen in unserem Land.

Mit sozialdemokratischen Grüßen!

Für den Juso-Landesvorstand der Jusos Baden-Württemberg

Roman Götzmann
Landesvorsitzender der Jusos Baden-Württemberg